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Die Kernkompetenzen von HFactor liegen in der praktischen Anwendung von drei wissenschaftlichen Disziplinen zu denen wir auch eigene Forschung betreiben:

  • Human Factors  – Schwerpunkt: Sicherheitsrelevante Branchen
  • Safety Science – Schwerpunkt: Safety II und Resilience Engineering
  • Change-Management – Schwerpunkt: Faktoren von Erfolg und Scheitern

Im Folgenden erhalten Sie einen kurzen Überblick zum fachlichen und wissenschaftlichen Hintergrund.

Human Factors und Safety Science

Die wissenschaftliche Disziplin heisst eigentlich „Human Factors and Ergonomics“ oder HFE, wobei die Begriffe meist synonym, aber nicht einheitlich verwendet werden. HFE wird auch Wissenschaft der Arbeit genannt und ist eine vergleichsweise junge sowie anwendungsorientierte Wissenschaft. Wesentliche Bereiche sind Mikroergonomie (Focus liegt auf der Leistungsfähigkeit des Menschen) sowie Makroergonomie (Focus liegt auf Interkation von Systemen).

Die Disziplin wird als ganzheitlich bzw. holistisch beschrieben, da sie die sozialen, physischen und kognitiven Charakteristiken des Mensch sowie seine Interaktion mit der Umwelt zu verstehen versucht (Wilson, 2014). Die International Ergonomics Association (IEA) beschreibt die Disziplin folgendermaßen:

“Ergonomics [or human factors] is the scientific discipline concerned with the understanding of interactions among humans and other elements of a system, and the profession that applies theory, principles, data and methods to design in order to optimize human well-being and overall system performance.” (IEA, 2014)

Ein groß angelegter Bericht vieler Experten (Dul et al.,2012) beschreibt Human Factors und damit auch die notwendigen Eigenschaften einer guten Herangehensweise folgendermaßen:

  1. Ganzheitlicher Fokus (holistisch)
  2. Design-Fokus (anwendungsorientiert)
  3. Ergebnis-Fokus (Leistung + menschliches Wohlergehen)

Wenn es um die Anwendung in Hochrisikobranchen (Luftfahrt, Kernkraft etc.) geht, ist HFE eng mit einer anderen Disziplin verbunden, der Safety Science. Im Überlappungsbereich beider Disziplinen finden HFE Ansätze die größte Anwendung (Grote, 2014) und dort liegen auch die Kernkompetenzen von HFactor.

Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich die Komplexität von System und Technologien stetig erhöht. In Verbindung mit der zunehmenden Automation hat sich dabei auch die Art der Zwischenfälle verändert. Sie zu untersuchen, zu verstehen und geeignete Maßnahmen zu treffen wird immer schwieriger während das Schadenspotential aufgrund der leistungsfähigeren Technologien ebenfalls zunimmt (Leveson, 2017).

Der Zwischenfall von Chernobyl war noch mit linearen Ansätzen untersuchbar, bei denen Ursache-Wirkung Zusammenhänge im Fokus stehen (Reason, 1997). Doch spätestens die zwei Abstürze der 737 Max8 in Indonesien und Äthiopien sind ohne systemische Ansätze nicht zu verstehen. Das klassische Risikomanagment stößt bereits seit einigen Jahren an seine Grenzen, denn die Interaktion unzähliger Faktoren und die dabei entstehenden Risiken sind unüberblickbar geworden. Diese Komplexitätsproblematiken haben einen Paradigmenwechsel notwendig gemacht, deren Umsetzung in der Praxis jedoch nur zögerlich vorankommt.

Die bisherige risikobasierte und auf den Schadensfall ausgerichtete Herangehensweise (Safety I) musste um ein systemisches Vorgehen ergänzt werden. Sie entstand in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts unter dem Namen Safety II und beschäftigt sich mit anpassungsfähigen (adaptiven) Systemen und den Kompetenzen, die zur Bewältigung von Komplexität und der dadurch entstehenden Ungewissheit notwendig sind (Hollnagel, 2014). Organisationen verfügen meist nicht über Kompetenzen, um unvorhergesehenen Schwierigkeiten zu bewältigen, sie müssen dazu gezielt befähigt werden. Die Vorgehensweise dazu wird Resilience Engineering genannt und die zu entwickelnde Resilienz einer Organisation ist folgendermaßen definiert:

“The intrinsic ability of a system to adjust its functioning prior to, during, or following changes and disturbances, so it can sustain required operations under both expected and unexpected conditions.”

Hollnagel, 2011

Damit vollzieht sich für das Risikomanagement ein Wechsel des Fokus weg von bloßen Maßnahmen und hin zu Kompetenzen einer Organisation. Die vier Eigenschaften, durch die resiliente Organisationen beschrieben werden können, haben breite Zustimmung in der Wissenschaft erfahren:  Anticipating, Monitoring, Responding und Learning (Pęcillo, 2016). Sie beschreiben, dass die Organisation weiß mit was sie rechnen muss, nach was sie Ausschau halten muss, was tun muss und dies auch kann sowie dass sie versteht wie ein Ereignis zustande gekommen ist.

Um mit unvorhergesehenen Ereignissen, die weitreichend Folgen haben (sogenannte disruptive events), umgehen zu können muss eine Organisation über alle diese Fähigkeiten verfügen. Entscheidend ist dabei deren Zusammenwirken und nicht nur das Sie vorhanden sind. Damit werden Organisationen vor neue Herausforderungen gestellt, die nicht mit den bisherigen linearen Ansätzen zu bewältigen sind.

Entscheiden bei diesem Ansatz ist, dass der Fokus auf Risiken um den Fokus auf Chancen erweitert wird. Diese ganzheitliche und systemische Herangehensweise ergänzt damit den bisherigen Fokus auf Kosten um einen wirtschaftlichen Fokus auf zusätzlichen Nutzen und ungenutzte Chancen.

Literatur

Dul, J., Bruder, R., Buckle, P., Carayon, P., Falzon, P., Marras, W., Wilson, J., van der Doelen, B. (2012). A strategy for human factors/ergonomics: developing the discipline and profession. Ergonomics,

Grote, G. (2014). Adding a strategic edge to human factors/ergonomics: principles for the management of uncertainty as cornerstones for system design. Applied Ergonomics, 45(1), 33–39

Hollnagel, E. (2011). Prologue: The Scope of Resilience Engineering. In E. Hollnagel, J. Paries, D. D. Woods, & J. Wreathall (Eds.), Resilience Engineering in Practice: A Guidebook (pp. XXIX–XXXIX). Farnham: Aashgate Publishing Limited.

Hollnagel, E. (2014). Safety-I and Safety-II: The past and future of safety management. Farnham u.a.: Ashgate.

Leveson, N. G. (2017). Rasmussen’s legacy: A paradigm change in engineering for safety. Applied ergonomics. (59), 581–591.

Pęcillo, M. (2016). The resilience engineering concept in enterprises with and without occupational safety and health management systems. Safety Science. (82), 190–198.

Reason, J. (1997). Managing the risks of organizational accidents. Aldershot: Ashgate.

Wilson, J. R. (2014). Fundamentals of systems ergonomics/human factors. Applied Ergonomics, 45(1), 5–13.

Change-Management

Was wir heute als Change-Management kennen geht auf die Arbeit des Psychologen Kurt Lewin zurück (Burnes, 2004). Er untersuchte jedoch neben Veränderungen auch den Einfluss von Gruppendynamik, Führung und Kultur und legte ein sehr ganzheitliches Konzept vor. Umso erstaunlich ist es, dass bei der heutigen Menge an Methoden und Herangehensweisen (Al-Haddad & Kotnour, 2015) der ursprünglich ganzheitliche Ansatz wenig Beachtung findet.

Drei wesentliche Ansätze haben sich seit dem nacheinander entwickelt planned change, emergent change und contingency change (Cameron and Green 2015). Ursprünglich verstand man Veränderungsprojekte als abgeschlossenen Vorgänge mit einem klar definierten Anfang, der erforderlichen Änderung und dem zu erreichenden Zielzustand. Im weiteren Verlauf ist die Vorstellung von ständigem Wandel bzw. emergenten (auftauchende) Veränderungen entstanden. Schließlich, als Mischung beider Ansätze, die Vorstellung, dass Wandel je nach situativem Kontext und beteiligten Akteuren/Organisationen unterschiedlich gehandhabt werden muss.

Wissenschaftliche Einigkeit besteht heutzutage lediglich darin, dass Wandel ständig und zahlreich auftritt, sowie in unterschiedlichsten Ausprägungen (Todnem By, 2005). Dabei besteht eine Reihe zentraler Problematiken und Forschungsfragen:

  • Große Distanz der wissenschaftlichen Theorie zur wirtschaftlichen Praxis (Appelbaum et al., 2012),
  • Zunehmende Herausforderungen durch stetig steigende Komplexität (Grady & Grady, 2013)
  • Das Fehlen ganzheitlicher Modelle und Herangehensweisen (Todnem By, 2005)
  • Das lückenhafte Verständnis menschlicher Einflussfaktoren (Maheshwari & Vohra, 2015)
  • Ein sehr limitiertes Verständnis warum Veränderungsprojekte so oft scheitern (Schwarz et al., 2011)

Dass die meisten Change Manager eher aus dem Bauch heraus handeln oder sich auf Erfahrungen verlassen und nicht auf wissenschaftliche Ansätze liegt u.a. an der inkonsistenten Bewertung der Ergebnisse von Veränderungsprojekten. Gerade das Scheitern von Projekten ist nicht ausreichend untersucht (Cândido & Santos, 2015; Hutzschenreuter & Kleindienst, 2006).

Ein ganzheitlicher Ansatz müsste die o.a. Forschungsfragen berücksichtigen und gleichzeitig mehr Orientierung für den Anwender liefern (Todnem By, 2005). Dem mittleren Management kommt dabei eine sehr hohe Bedeutung zu, doch fehlen dort die Möglichkeiten der Einflussnahme (Raelin & Cataldo, 2011). Kunzmann (2019) hat gezeigt wie Kompetenzen der Change Manager den Erfolg und das Scheitern von Projekten beeinflussen, allerdings nur solange die Organisation in der Lage ist Prozesse und Strukturen flexibel anzupassen damit diese Kompetenzen wirken können. Es zeigte sich zudem, dass der Flaschenhals für den Erfolg von Veränderungsprojekten in der Fähigkeit der Organisation besteht aus Resultaten zu lernen, und zwar hauptsächlichen aus den erfolgreichen. Erfolg wird jedoch selten hinterfragt. Wenn dann Glück, Improvisation oder Prozessabweichungen ursächlich dafür waren, kommt zukünftiges Scheitern vollkommen überraschend.

Literatur

Al-Haddad, S., & Kotnour, T. (2015). Integrating the organizational change literature: a model for successful change. Journal of Organizational Change Management, 28(2), 234–262.

Appelbaum, S. H., Habashy, S., Malo, J., & Shafiq, H. (2012). Back to the future: Revisiting Kotter’s 1996 change model. Journal of Management Development, 31(8), 764–782.

Burnes, B. (2004a). Kurt Lewin and the planned approach to change: a re‐ appraisal. Journal of Management studies, 41(6), 977–1002.

Cameron, E., & Green, M. (2015). Making sense of change management: a complete guide to the models, tools and techniques of organizational change (4th edition). London: Kogan Page Publishers.

Cândido, C. J. F., & Santos, S. P. (2015). Strategy implementation: What is the failure rate? Journal of Management & Organization, 21(2), 237–262.

Grady, V. M., & Grady, J. D. (2013). The Relationship of Bowlby’s Attachment Theory to the Persistent Failure of Organizational Change Initiatives. Journal of Change Management, 13(2), 206–222.

Hutzschenreuter, T., & Kleindienst, I. (2006). Strategy-process research: What have we learned and what is still to be explored. Journal of management, 32(5), 673–720.

Kunzmann, H. (2019). A Human Factors view of Organisational Change: Shifting mindset from success and failure to Resilience Engineering. (Unpublished doctoral dissertation). University of Portsmouth, Portsmouth, UK

Maheshwari, S., & Vohra, V. (2015). Identifying critical HR practices impacting employee perception and commitment during organizational change. Journal of Organizational Change Management, 28(5), 872–894.

Raelin, J. D., & Cataldo, C. G. (2011). Whither Middle Management? Empowering Interface and the Failure of Organizational Change. Journal of Change Management, 11(4), 481–507.

Schwarz, G. M., Watson, B. M., & Callan, V. J. (2011). Talking up failure: how discourse can signal failure to change. Management Communication Quarterly, 25(2), 311–352.

Todnem By, R. (2005). Organisational change management: A critical review. Journal of Change Management, 5(4), 369–380.